7 Minuten Lesezeit
Highlights
Künstliche Intelligenz (KI) hat die Kraft, Prozesse in Organisationen neu zu definieren. Und zwar nicht nur einmalig, sondern kontinuierlich. Das schürt Unsicherheit bis weit ins Topmanagement hinein.
Wie also lässt sich Vertrauen in eine Technologie herstellen, deren Tragweite heute noch nicht einmal absehbar ist?
Mit klaren Leitplanken, sorgfältiger Planung und einer gehörigen Portion Entdeckergeist, mit dem die Pioniere im Unternehmen das neue Terrain betreten.
Am Ende müssen wir vor allem eines lernen: loszulassen.
Autor: Bhuwan Agrawal, Deutschlandchef Tata Consultancy Services (TCS)
Es ist ein gigantischer Sprung: Von derzeit 56 Milliarden US-Dollar auf rund 1,3 Billionen US-Dollar im Jahr 2032 wird laut Bloomberg allein der Markt für generative Künstliche Intelligenz zulegen. Kaum verwunderlich also, dass drei Viertel aller Unternehmen schon heute KI nutzen, so das Weltwirtschaftsforum. Die Technologie wirkt in zahlreichen Branchen wie ein Fortschritts-Booster. Mein persönliches Highlight sind Innovationen in der Medizin. In der Bilddiagnose hilft KI etwa dabei, MRT-Ergebnisse besser auszuwerten und Krebszellen effektiver zu erkennen.
Doch trotz des riesigen Potenzials stößt die Technologie hierzulande noch auf Skepsis. Laut Branchenverband BITKOM setzen derzeit lediglich 13 Prozent der Unternehmen KI ein. Jeder zweite Deutsche lehnt Künstliche Intelligenz sogar gänzlich ab, hat das Edelman Trust Barometer ermittelt. Man darf davon ausgehen, dass diese Einstellung auch in den Belegschaften anzutreffen ist. Umso wichtiger ist es also, zunächst in vertrauensbildende Maßnahmen zu investieren.
Dabei ist die Ausgangslage komplex. Nicht alle Vorbehalte gegenüber Künstlicher Intelligenz sind aus der Luft gegriffen und die Technologie lässt sich auch missbräuchlich einsetzen. Umso wichtiger ist es, von Anfang an klare Leitplanken einzuziehen, den regelgerechten Umgang mit KI sicherzustellen und die eigene Haltung dazu klar zu kommunizieren. Schulungen helfen den Beschäftigten nicht nur, die Technologie zu verstehen, sondern bauen Berührungsängste ab. Sandbox-Ansätze, also Einsätze in kontrollierter Umgebung, laden zum spielerischen Entdecken ein.
Entscheidend ist aber vor allem eines: aufzuzeigen, welche Vorteile die Technologie für den Einzelnen bringt und auch anzuerkennen, dass Rollen und Aufgaben sich möglicherweise verändern. „What’s in it for me?“ Die Antwort: KI schafft dir Freiräume, dich auf wertstiftendere Tätigkeiten zu fokussieren.
Beispiel Einzelhandel: In der strategischen Preisgestaltung kann die Künstliche Intelligenz blitzschnell kontextuelle und historische Datenpunkte auswerten, etwa Käuferstruktur, saisonale oder geografische Besonderheiten – und zwar nicht nur für einen Artikel, sondern für alle Stock Keeping Units (SKU) in einer Filiale. Eine Analyse, die ohne KI kaum effizient durchzuführen wäre. Der zuständige Mitarbeiter wiederum nutzt sein Erfahrungswissen, um daraus eine passgenaue Preisstrategie abzuleiten.
Künstliche Intelligenz dient also nicht in erster Linie dazu, bestehende Prozesse zu digitalisieren. Sie definiert neue Abläufe – mit dem Ziel, schneller, kostengünstiger oder innovativer auf spezifische Anforderungen einzugehen. Das ist vor allem dann eine optimale Ergänzung, wenn die strategischen Herausforderungen bekannt und verstanden sind.
Entscheidend ist aber vor allem eines: aufzuzeigen, welche Vorteile die Technologie für den Einzelnen bringt und auch anzuerkennen, dass Rollen und Aufgaben sich möglicherweise verändern. „What’s in it for me?“ Die Antwort: KI schafft dir Freiräume, dich auf wertstiftendere Tätigkeiten zu fokussieren.
Sind die ersten Vorbehalte überwunden, gilt es, die richtige Haltung gegenüber KI zu fördern. Der Mitarbeiter aus dem oben genannten Beispiel muss der KI schließlich vertrauen, dass sie die richtige Analyse liefert. Er delegiert somit einen Teil seiner Arbeit an so etwas wie einen persönlichen Assistenten. Und Delegieren hat immer viel mit Loslassen zu tun.
Aber dieses Loslassen reicht deutlich weiter, denn wir können heute noch nicht absehen, wie wir morgen mithilfe von KI arbeiten werden. Wer dieser Ungewissheit dauerhaft ausgesetzt ist, muss flexibel, anpassungsfähig und offen bleiben. Wie ein Pionier, der neues Terrain erschließt, womöglich die Richtung vor Augen hat, aber noch nicht alle Hindernisse auf dem Weg zum Ziel kennt.
Ich spreche daher gern vom Entdeckergeist, der nötig ist, um Künstlicher Intelligenz mit Zuversicht zu begegnen. Zugegeben, das ist nicht jedermanns Sache und muss es auch nicht sein. Wichtig sind Führungsfiguren, die diese Einstellung vorleben, die motivieren und mitreißen können. Und Führung ist in diesem Zusammenhang keineswegs hierarchisch gemeint, sondern zielt vor allem auf Glaubwürdigkeit ab. Wem trauen Mitarbeiter zu, die Technologie einzuführen? Das Top-Management wiederum muss bei möglichen Fehlschlägen die nötige Rückendeckung geben.
Im Change Management gilt die Regel: Kommuniziere eine Veränderung mindestens siebenmal, um sie in den Köpfen zu verankern. Bei KI geht es jedoch nicht um eine einmalige Veränderung, sondern um eine Transformation. Das setzt wiederum kontinuierliche Kommunikation voraus, die nicht nur top-down erfolgt, sondern auf Dialog setzt. Denn nur im direkten Austausch lassen sich Emotionen und Bedenken schnell erkennen, die ansonsten vor sich hin schwelen und die Transformation verlangsamen würden.
Was sich zudem bei unserer eigenen KI-Reise bewährt hat: Innovationen zunächst in kleinerem Kreis voranzutreiben. Wenn die Veränderung sukzessive stattfindet und von einer Gruppe Gleichgesinnter ausgeht, lässt sich der Wandel leichter umsetzen. Und je mehr Mitarbeiter hinter einer Technologie stehen, desto leichter lassen sich ihre Potenziale ausschöpfen.